Jahrelang bin ich im festen Glauben aufgewachsen, man dürfte nicht mit Essen spielen. Das ziemt sich nicht. „Mit Essen spielt man nicht!“, hallt es echogleich von Ohr zu Ohr in meinem Kopf, wenn ich an diese Unart aus Kindertagen denke. Dabei kann Spielen mit Essen durchaus sinnvoll, und ein richtig brutaler Umgang damit sogar notwendig sein, durfte ich auf meiner Reise durch Kirgistan lernen und mein Weltbild hat sich nach mehr als 40 Lebensjahren nochmals um 180 Grad gewendet.  

Träumerisch verfolge ich das schimmernde Türkis des Naryn-Flusses und weiß noch nicht, wie bald ich aus dieser Idylle gerissen werde.

In Kirgistan spielt man mit Essen

Eigentlich bin ich ganz in die vorbeifliegenden Landschaftsbilder – den türkisen Naryn, die rosa und lila blühenden Tamarisken, die Schafherden, die mähend über die Berghänge ziehen – versunken als mich eine gröhlende Männerschar auf Staub aufwirbelnden Pferden mit kirgisischer Gewalt aus meinen baumwollbauschigen Träumen reißt.

Kökbörü wird mit einer toten Ziege gespielt, die der Kirgise vorne rechts im Bild bei sich hat

Was die da treiben mitten am helllichten Tag im Nichts?, will ich natürlich neugierig wissen. Sie spielen Kökbörü. Davon hatte ich schon gehört und auf meiner letzten Kirgistanreise eifrig die Aussprache des Zungenbrechers geübt, nur zu sehen bekommen hatte ich damals leider kein einziges Spiel. Hurra! Endlich war es soweit und ich darf endlich grunzenden testosteronschwangeren Männern dabei zusehen wie sie eine tote Ziege kämpften. Auf einem Pferd sitzend natürlich. Denn nur da fühlt sich ein Kirgise wirklich wohl. Was dem feinen Briten Polo ist, ist dem wilden Kirgisen das Kökbörü. So ähnlich sieht das Spiel auch für mich aus. Die Ziege ersetzt den Ball und zwei Teams spielen darum es ins gegnerische Tor zu bringen. Das Tor besteht aus einem Haufen, meist befestigt mit Autoreifen und da drauf hat man den angekohlten Ziegenkadaver zu werfen. Das erfordert einiges an Reitkünsten und auch Kraft, denn so ein totes Ziegentier kann schon mal 50kg auf die Waage bringen. Für einen Kirgisen ist das allerdings ein Klacks.

Das stolze Siegerteam des heutigen Turniers

Wie kommt man nur auf die Idee mit einer toten Ziege Polo zu spielen?, frage ich erneut neugierig die rein männliche Zuschauerschar. Tja, Ziegenfleisch ist zäh und die Kirgisen mögen es aber lieber weich. Also muss es geklopft werden. Und das ziemlich lange. Weil das aber anstrengend ist, haben die Männer einfach beschlossen damit zu spielen, es durch die Gegend zu werfen, ziehen und zerren und ein Spiel daraus zu machen. Das ist Spiel, Spaß und Überraschung in einem. Kökbörü ist das kirgisische Überraschungsei. Ahhh! Nur gewinnen muss man sie auch, denn nur das Gewinnerteam darf die perfekt weichgeschlagene Ziege mit nach Hause nehmen und verspeisen.

Ein stolzer Kirgise im Kirgistan-T-Shirt beim kirgisischen Nationalsport

Angeblich gibt es Bemühungen internationaler Organisation, das Spiel in dieser Form verbieten zu lassen, weil es wohl pietätslos wäre mit einer Tierleiche zu spielen. Trotzdem ich tierlieb bin und dem Umgang mit Tieren gerne zeigefingerhochhaltend beklage entzieht sich mir dieser etwas scheinheilige Moralausstoß. Die Kökbörü-Ziege wird nicht in Massentierhaltung großgezogen, kilometerweit in engen LKWs transportiert und in automatisierten Tötungsfabriken geschlachtet bevor man sie ins Spiel wirft. Das Schnitzel, das bei den meisten auf europäischen Tellern liegt, schon.

So wirklich international ist das Spiel nicht. 😉

Am Ende des Spieles bitten die Spieler, die Gewinner als auch die Verlierer, darum abgelichtet zu werden. Sehr gerne! Stolz wird posiert und Bizeps präsentiert. Es folgt ein Gebet und die Gewinner ziehen stolz mit einer Geldsumme, gesponsert von einem studiertem Dorfbewohner und der perfekt geklopften Ziege von dannen, um sie zu Hause – vermutlich mit ein paar Gläschen Wodka – zu verzehren.

Nach dem Spiel gibt es selbstverständlich auch eine Ansprache. Darin sind die Kirgisen gut.

Und ich versinke wieder im Landschaftskino und freu mich endlich die stolzen Kirgisen bei ihrem seltsam anmutendem Spiel mit dem Essen beobachtet haben zu dürfen.

PS: Sobald es eine bessere Internetverbindung gibt – vermutlich erst wieder zurück in Österreich, wird an dieser Stelle auch ein Video vom Spiel gepostet.

… und auch ein Gebet

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