Ich habe mir lange überlegt, ob ich diesen Beitrag schreiben soll, mich aber schlussendlich dazu entschieden es zu tun, weil auf allen Reisen Unvorhergesehens eintreten kann und diese ungeplanten Abenteuer am Ende immer die sind, die am längsten in Erinnerung bleiben. Und so will ich erzählen, wie ich im kirgisischen Niemandsland gestrandet bin und das trotz meiner jahrzehntelangen Reisetätigkeit zum absoluten Höhepunkt meiner Auslandserfahrungen geworden ist.

Wegen einer Fehleinschätzung sind wir auf einem Kiesbett inmitten eines Flusses stecken geblieben.

Gestrandet im kirgisischen Niemandsland

Eigentlich sind wir am Weg von Tash Rabat zum Kel-Suu, einem Hochgebirgssee an der Grenze zu China. Doch dort angekommen sind wir nie. Denn ca. 50km nachdem wir die Off-Road-Piste vorbei am Chatyr-Kul nehmen, schaffen wir es aufgrund einer Fehleinschätzung nicht über den Fluss und bleiben mit dem an und für sich geländegängigem, aber aufgrund eines Schadens sich nicht auf voller Höhe befindenden Wagen im instabilen Kiesbett stecken. Trotz aller Bemühungen, die über Stunden gehen, können wir uns nicht mehr befreien. Inmitten des Niemandslands. Mehr als 50km zum Highway, 50km zur chinesischen Grenze und 2,5 Stunden mit dem Pferd zur nächsten Station mit Telefonanschluss. Auf 3.500m Seehöhe, umgeben von Hunderten grunzenden Yaks, nur weit und breit keine Menschenseele in Sicht. Am gegenüberliegenden Flussufer steht ein türkisfarbener Waggon, einer von denen, den die Nomaden gerne anstatt von Jurten verwenden. Nur Nomade ist keiner in Sicht. Trotzdem ich eifrige McGyver-Seherin war, sehe ich mich in dem Moment mit nichts als Steinen in Reichweite in einer auswegslosen Situation. Zu Fuß zurück in Richtung Highway und der Chance eine alternative Fahrgelegenheit zu finden, stehen mit geschätzten 10 Stunden Gehdauer am späten Nachmittag außer Frage. Also versuchen wir mit Steinen einen Untergrund zu schaffen, um das Auto zu befreien, scheitern aber immer wieder.

Nichts als Yaks und Steine in Sicht

Als ich mich schon darauf eingestellt hatte mit sämtlichen Kleidungsstücken aus meiner Reisetasche die Nacht im Auto zu verbringen, erscheint ein vermummter Reiter am Horizont, beobachtet uns verzweifelt am Wagen Werkende, und reitet geradewegs auf uns zu. Bei uns angekommen, grüßt er, wir grüßen retour. Mit seiner schwarzen Sturmhaube macht er einen beängstigten Eindruck, doch dann grinst er goldzähnezeigend und lässt hoffen, dass er es gut mit uns meint. Sein Name ist Alich. Er ist Hirte, der türkise Waggon ist sein Zuhause, die meisten Yaks, die unbeeindruckt in der Umgebung das magere Gras mähen ebenfalls.

Alich beobachtet uns bei unseren verzweifelten Versuchen den Wagen zu befreien.

Er lädt uns ein die Nacht bei ihm zu verbringen. Morgen, so meint er, käme ein Lastwagen vorbei, der könne unseren Wagen aus dem Flussbett ziehen. Nun gut. So sei es. Ich liebe die kirgisischen Waggons aus Sowjetzeiten und so komme ich endlich in den Genuss dort eine Nacht verbringen zu dürfen. Ruhe bewahren. Die Situation ängstigt mich nicht wirklich. Ich vertraue auf mein Schicksal, das es bislang immer gut mit mir meinte.

Alichs Waggon. Die Rettung.

Alich heizt ein. Mit getrocknetem Yak-Dung. Mehr als er es für sich selbst tun würde, weil er wohl meint, dass ich arme Ausländerin ein verfrorenes Wesen sei und bald schon fühle ich mich wie in einer russischen Banja (=Sauna). Er schenkt Tee ein. Wir plaudern. Dank der Übersetzung von Rakhat, der mich die Reise über begleitet, ist ein Gespräch möglich. Er verbringt das ganze Jahr über hier in dieser Hochgebirgswüste im Tien-Shan-Gebirge. Alle paar Monate wechselt er den Standort. 150 Yaks sind sein Eigentum. Er hat eine Frau und zwei Söhne, die während der Sommerferien bei ihm leben. Die restliche Zeit wohnen sie im Dorf und die Kinder besuchen die Schule. Ein einsames Leben sei es, doch er habe einen Fernseher, den er mit Solarstrom betreibt und so sei es durchaus erträglich. Und hie und da besuche er die anderen wenigen Hirten, die in der Umgebung mit ihren Yaks hier oben leben. Nur ums Eck leben die nicht gerade, da sei schon ein längerer Ritt notwendig. Einmal im Monat, erzählt er weiter, reitet er zur nächsten Polizeistation und telefoniert mit seiner Familie. Er wirkt trotz dieser Entbehrungen zufrieden, möchte das Leben, das er zuvor als Arbeiter in eines Getränkeherstellers nahe Bishkek hatte, nicht wieder zurück.

Ohne ihn wäre die Situation vielleicht nicht so glimpflich ausgegangen.

Und irgendwann schlafe ich ein. Am Morgen steigt die Hoffnung, dass nun bald der versprochene Lastwagen am Horizont auftaucht, der uns aus unserer misslichen Lage befreit. Doch er kommt nicht. Alich verabschiedet sich und verspricht uns Hilfe zu holen. Wir sind wieder allein, machen uns wieder verzweifelt am Wagen zu schaffen, weil es immer noch besser ist als nicht zu tun. Immer wieder blicken wir zum Horizont, doch nichts und niemand will sich blicken lassen. Die Stimmung sinkt in den Keller. Rakhat macht sich Vorwürfe. Ich versuche Contenance zu bewahren, auch wenn es mir eigentlich in dem Moment schwer fällt. Und dann, ja dann, um zwei Uhr nachmittags erscheint aus dem Nichts ein schäbiger Sowjet-Truck am Horizont, gast mit Hochgeschwindigkeit durch den Fluss und bremst neben uns. Drei kirgisische Männlein entspringen ihm: Alich, ein größerwachsener Hüne und sein viel zu dünnes Gegenstück mit FC Bayer München-Haube. Grins, grins, hurra. Die Retter sind da. Und? Sie schaffen es. Der Wagen ist unerwartet schnell frei. Der Hüne entpuppt sich als ausgesprochener Fahrprofi und bewerkstelligt in Minuten das, was wir in eineinhalb Tagen nicht geschafft haben.

Wenn die drei und der schäbige Wagen nicht gewesen wären, hätten wir wohl noch lange auf Hilfe warten müssen.

Wir bedanken uns. Vielfach. Mit Worten, mit Geschenken, mit Geld. Doch all das scheint nicht genug. Alich ist mir ans Herz gewachsen. Wir ihm offensichtlich auch. Er umarmt uns. Ein beeindruckender Mensch, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Er steht für die Hilfsbereitschaft, die man den Nomanden nachsagt. Hier oben im Nichts muss man sich aufeinander verlassen können. Man schaut nicht weg, dreht sich nicht weg. Man hilft sich, weil man sich braucht. Danke Alich. Mit traurigen Blicken verabschieden wir uns.

Eine derartige Situation ist mir in den über zwanzig Jahren Reisetätigkeit noch nie passiert. Es kommt immer wieder zu brenzligen Momenten, aber bislang sind sie immer gut ausgegangen. Bewusst habe ich diesen Beitrag veröffentlicht, weil die meisten unserer Reisen Abenteuercharakter haben. Wir bewegen uns oft in entlegenen Regionen, in hohen Bergen, das Wetter kann sich rasant ändern, Unvorhergesehenes eintreten. Und da wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler. Und das ist ok. Manchmal müssen wir Dinge einfach hinnehmen, sie geschehen lassen und können einfach nichts anderes machen als darauf zu hoffen, dass am Ende alles gut wird. Panik bringt uns in solchen Situationen nicht. Vielmehr kann das Zulassen ein Tor zu ganz besonderen und unvergesslichen Ereignissen werden. Genauso sehe ich dieses Erlebnis, das so ganz und gar nicht geplant war, sich tief in mein Herz eingegraben hat und ich nie und nimmer missen möchte.

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