Am 18. Juli 2018 habe ich meinen ersten 6.000er bestiegen. Er war schon seit längerer Zeit auf meiner To-Do-Liste und trotzdem habe ich mich immer wieder gedrückt, weil mir bewusst war, dass es kein Zuckerschlecken werden würde. Heuer aber bin ich über meinen Schatten gesprungen und habe es geschafft. Hier mein persönlicher Erfahrungsbericht.

Den inneren Schweinehund besiegen

oder

Mein erster 6.000er

von Daniela Luschin-Wangail

Das erste Lager in Rachung Karu auf 4.900m. Der morgige Pass – Kyamamuri La – im Hintergrund.

Warum tu ich mir das eigentlich an? Wieso mich quälen? Wem muss ich was beweisen? Warum den schwierigen Weg nehmen, wenn es auch einfacher geht? Fragen wie diese kreisten am Vorabend der geplanten Besteigung des Dome Peak (6.050m) im Changthang, Ladakh, in meinem Kopf herum. Ich gab mir die Antwort. Du musst nicht! Du musst niemandem etwas beweisen! Du kannst auch den einfachen Weg gehen. Und trotzdem tat ich es.

Wir sind umgeben von Schafen, Ziegen, Yaks und ihren Besitzern, den tibetischen Nomaden.

Ich bin keine Bergsteigerin, keine extreme Sportlerin. Ich laufe regelmäßig, ich gehe gerne, aber viel zu wenig wandern, weil mir die Zeit dazu einfach zu oft fehlt, ein wenig radfahren, ein wenig schwimmen. Mehr mache ich nicht. Meine Kondition ist gut. Das liegt auch an meinem Sturschädel, denn wenn ich mir einbilde etwas zu schaffen, dann krieg ich das meistens auch hin. Der 6.000er steht bereits seit einer Weile auf meinem Plan. Den ersten Roman hab ich erledigt, der zweite ist in Arbeit. Jetzt galt es mir was Neues zu beweisen. Ich bin ruhelos und das Leben ist kurz. Manchmal bin ich mir selbst zu anstrengend. Angmo, unsere Bergführerin, hat sich bereit erklärt mich zu begleiten. In Frauenbegleitung fühle ich mich gleich um einiges wohler, da hab ich das Gefühl mich weniger beweisen zu müssen (wenngleich das sowieso lächerlich ist).

Also machten wir uns auf den Weg. Zuviel Zeit außerhalb von Leh konnte ich arbeitsbedingt nicht verbringen, also mussten wir es knapp anlegen. Über den 5.400m hohen Taglang La ging es von Leh aus mit dem Auto zum Salzsee Tsokar und von dort weiter über Nuruchan über eine kaum befahrene Jeep-Piste nach Rachung Karu auf einer Höhe von 4.900m. Erstes Nachtlager im Zelt. Umgeben von tibetischen Nomaden mit ihren Schaf-, Yak- und Ziegenherden. Ein Traum. Ich liebe die nomadische Lebensweise seit jeher, bewundere die Leichtigkeit mit der sie ihr strapaziöses Dasein in den kargsten Winkeln dieser Erde meistern. Das Blöken, Grunzen, Bellen ihrer Tiere und das Rauschen des Gletscherbaches wiegen mich schnell in den Schlaf. Ohne Kopfschmerzen oder andere höhenbedingte Symptome geht die Nacht vorüber.

Kaffee und Yaks zum Aufstehen. Was will man mehr?

Um sechs Uhr bringt uns Stanzin, unser Koch, Kaffee und Tee zum Zelt. Schöner kann man nicht geweckt werden. Diesen Luxus, hier draußen in luftiger Höhe, genieße ich. Dann frühstücken – der Körper braucht für die heute anstehende Wanderung nach Gyama, in unser Basislager, etwas Energie. Zelt abbauen (das bleibt unseren Gästen erspart, die können gleich nach dem Frühstück losgehen), Rucksack mit Wasser und etwas Wegzehrung befüllen und los geht es. Direkt vom Zeltlager geht es bergauf. Der Kyamamuri La mit 5.410m muss gequert werden. Trotzdem ich schon eine Woche in Ladakh bin, merke ich die Höhe, sie zehrt am Niederungen gewöhnten europäischen Körper. Nach wenigen Schritten bleibt die Puste weg. Einatmen, ausatmen, langsame Schritten, dazwischen Verschnaufpausen, den Puls wieder normalisieren. Für 500 Höhenmeter braucht man hier seine Zeit, wenn man noch nicht akklimatisiert ist. Ich beneide die Hirten, die beschwingt mit ihren Herden die Hügel bergauf huschen als wäre es ein Zuckerschlecken. Aber irgendwann schaffe auch ich es, bin oben, bei den Gebetsfahnen, die das Ziel flatterend und bunt markieren. Das erste Ziel nur. Denn ein zweiter Pass steht heute noch am Plan. Doch erst eine Weile über die Hochebene von Gyama Barma wandern. Das geht flott, voller Energie, ich liebe das Gehen über weite Strecken, das tibetische Hochplateau kommt mir da sehr entgegen. Der Anstieg auf den Kartse La fällt schon leichter, wenngleich es noch immer kein nomadengleiches Hochlaufen ist. Wieder runter und Ankunft am Ziel, am rund 5.100m Schlafplatz für diese Nacht, in Gyama.

Der erste Pass auf unserer Route – der Kyamamuri La – hat mir einiges abverlangt

Ich hab es gut gemeistert, der Pferdemann nickt wohlwollend und meint, ich wäre ja flott unterwegs gewesen und das obwohl er mich gestern  noch „Abi“ (Großmutter) genannt hat. Wir Europäer sehen für die Einheimischen viel älter aus als wir sind. Mit meinen 41 Jahren fühle ich mich noch nicht als Abi, aber auch nicht mehr als Nomo (junges Mädchen). Ein Ache (große Schwester) oder zumindest Ane (Tante) hätte ich angebrachter gefunden. Ich streichle mein verletztes Ego.

Unser morgiges Ziel liegt uns nun zu Füßen. Sieht ja wie ein Hügel aus, denk ich mir, in Österreich wär das ein gemütlicher Sonntagsausflug. Aber ich weiß, dass es gut 1.000 Höhenmeter Aufstieg sind und in Anbetracht der Tatsache, dass die beiden Pässe heute doch recht anstrengend für mich waren, beginne ich zu zweifeln. Auch plagt mich ein penetrantes Klopfen in den Schläfen. Die Höhe macht sich nun deutlich bemerkbar. Wenn ich morgen noch immer Kopfschmerzen habe, lassen wir das mit der Besteigung, meine ich zu Angmo, und bin insgeheim ein klein wenig froh, so einen kleinen Ausweg zu haben mir die Gipfelbezwingung doch zu ersparen.

Abendstimmung in Gyama, 5.100m

Den verbleibenden Nachmittag verbringen wir mit dem Einsammeln von Müll, den andere hinterlassen haben. Noch immer hat es sich nicht rumgesprochen, dass Müll, der nicht kompostierbar ist, wieder mit zurück genommen werden soll. Dann ein paar Runden lokaler Kartenspiele mit Angmo und Stanzin und das letzte Abendmahl – leckere Momo und Chowmein. Der Bauch ist gefüllt, der Kopf weniger pochend, die Sonne verschwunden. Ab ins Zelt, rein in den Schlafsack und auf frische Energien hoffen, die einem während des Schlafs geschenkt werden. Der Wecker hätte um 5 Uhr geläutet, doch ich war schon gegen 4 Uhr wach und lauschte dem eifrigen Werken von Stanzin, der um diese Uhrzeit bereits den Kerosinkocher angeworfen hat, um uns ein Frühstück und ein Lunchpaket zu bereiten. Das Zelt aussen ist leicht angefroren, die Temperaturen damit am Gefrierpunkt, doch die Sonne lacht bereits über die Berge und streitet mit den Wolken um die Vorherrschaft. Das Wetter scheint perfekt. Der blöde Hügel, der über 6.000m hoch sein soll, grinst mich schelmisch an. Ich wage es. Und wenn ich nur 500m schaffe, dann lass ich es eben und wir gehen über die normale Trekkingroute nach Korzok Phu, dem Abholungspunkt für heute.

Nach dem Frühstück geht es los. Bergauf. Ich bin noch müde, meine Füße brauchen immer etwas, um wach zu werden. Wir gehen 20 Schritte und holen Luft, dann 30, dann 40, dann 50. Wir bleiben bei den 50 Schritt-Abständen bis ich etwas in Schwung gekommen bin und machen mit 70 Schritten weiter. Ich blicke während des Gehens nicht bergauf, das demotiviert und frustriert mich. Noch immer soviel vor mir. Nach einer Weile und rund 500 Höhenmetern beschließe ich, dass es kein Zurück mehr gibt. Ich bin eine effiziente Logistikern. Jetzt umzudrehen wäre mehr anstrengend als weiter zu gehen. Kommt nicht in Frage. Ich finde mein Tempo – ein schneckengleiches – und brauche kaum noch Pausen. Meditationsgleiches Gehen und Atmen, stetig und beruhigend. Wenn wir halten schauen wir nach oben. Da oben scheint er zu sein, der Gipfel, der Höhepunkt. Nur noch ein wenig. Und wir gehen wieder, kommen dort an und müssen erkennen, dass es doch noch weitergeht, der Höhepunkt nochmal höher liegt. Das Spiel wiederholt sich. Es frustriert ein wenig, doch ich gebe nicht auf. Er muss da wo sein, allzu weit kann es nicht mehr sein. Die Geröllfelder mehren sich, sie machen den Aufstieg nicht leichter. Schnee bleibt uns wegen des milden Winters auf unserer Route erspart, der versteckt sich auf der anderen Seite des Berges. Und tatsächlich nach etwas mehr als drei Stunden Aufstieg sind wir oben angekommen. Ein unspektakuläres Oben, das nicht spitz und ausgesetzt, nein, vielmehr weit und flach und so gar nicht abenteuerklischeehaft gipfelmäßig ist. Wurscht! Ich bin am höchsten Punkt meines Lebens und der Ausblick hat sich gewaschen, ein 6.000er nach dem anderen, Gletscher, und ein göttergleiches Hinabblicken auf die Welt darunter. Ich fühle mich wie im siebten Himmel! Wir grinsen, schlagen ein und sind dankbar. Foto-Klick-Foto-Klick! Der Triumph muss festgehalten werden. Angmo besteht darauf hier nicht zu lange zu bleiben, sondern etwas hinabzusteigen, um ein wenig zu essen. Der Abstieg wird noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen.

Eine kleine Pause auf ca. 5.700m

Gesagt, getan. Wir futtern Nüsse, Rosinen, Eier und trinken unter einem kleinen windgeschützten Felsvorsprung gut 50m unterhalb des Gipfels. Ich fühle mich noch immer engelsgleich und grinse vor mich hin. Angmo und ich einigen sich darauf eine vermeintliche Abkürzung zu nehmen. Sie kennt die Route zwar nicht, aber ich bin risikofreudig und möchte in jedem Fall einen weiteren Aufstieg vermeiden. 1.000 Höhenmeter bergauf reichen. Wir sind uns einig.

Wir beschließen die Berghänge schräg bergab zu queren, um schließlich nach Korzok Phu zu kommen. Doch die Hänge sind extrem geröllig, wir queren über Stunden Steinfelder, die immer wieder ins Rutschen kommen und das Gehen erfordert extreme Konzentration. Dagegen war der Aufstieg richtiggehend leicht, scherze ich mit Angmo. Ich merke erste Blasen an den Füßen, aber wir sehen das Ziel und den tiefblauen Tsomoriri-See vor uns, bleibe also hoffnungsvoll. Die Strecke zieht sich, wir sind beide müde. Am Ende eines Bachbettes machen wir noch einmal Pause und essen etwas, riesige Ziegenherden beobachten uns blökend und scheinen uns auszulachen. Ja, wir wissen es, wir hätten den normalen Weg gehen sollen. Danke vielmals fürs uns ins Lächerliche ziehen.

Der Weg zum Tsomoriri scheint so nah … doch der Abstieg ist mühsam.

Nach rund acht Stunden Gehzeit haben wir es geschafft. Ankunft in Korzok Phu und ziemlich zeitgleich kommt auch unser Taxi an und bringt uns retour nach Leh (nachdem wir in Korzok noch eine glutamathältige Maggie-Suppe mit einer Cola gierig zu uns genommen haben). Abenteuer erledigt. Ich habe Appetit bekommen und weiß jetzt, wie ich meinen inneren Schweinehund besiegen kann und dass ich nicht zuletzt auf einem 6000er war. Ein wenig spinne ich über eine Expeditionsreise für Frauen in den kommenden Jahren, die ich vielleicht, vielleicht gemeinsam mit Angmo führen werden. 😉

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