Kirgistan: Star im hohen Alter
Irgendwo im Nichts, im Dorf des kirgisischen Riesen Kotschumgul, treffen wir bei der Suche nach einer Unterkunft auf ein auf den ersten Blick unscheinbares altes Mütterchen das eine Mitfahrgelegenheit sucht. Bei uns im Jeep ist Platz und weil die Destination die selbe ist, nehmen wir sie selbstverständlich mit.
Kerimbekova Mirzagul: Star mit über 70 Jahren
Sie ist gesprächig von Anfang an, plaudert frölich und mit selbstbewusster Stimme, lacht immer wieder herzhaft auf und kramt schließlich in ihrer Handtasche nach etwas. Das Etwas entpuppt sich als sorgfältig gefaltete Zeitung. Sie entfaltet sie vorsichtig und zeigt und einen ganzseitigen Zeitungsausschnitt in dem es um sie geht: Kerimbekova Mirzagul. Sie sei eine lokale Bekanntheit, mehr noch, sei inzwischen auch erfolgreich als Sängerin auf internationalen Wettbewerben aufgetreten. Ihr Herz gelte aber vor allem der Poesie. Sie dichtet über den Nationalhelden Kotschumgul, die Schönheit Kirgistans und ihre Gedanken über die Entwicklung des zentralasiatischen Staates. Mirzagul ist eine stolze, aber herzliche und vor allem überaus lustige Frau mit inzwischen 71 Jahren. Sie lebt mal bei einem Sohn, mal beim anderen, und scheint sich am Hin und Her gar nicht zu stören, sie ist genauso gerne in Bishkek wie im kleinen Nest Kyzyl-Oi, wohin wir gerade unterwegs sind.
Mit fester Stimme und schwungvoller Gestik beginnt sie laut zu singen, Lieder aus ihrer Kindheit, die sie beim Tierehüten gesungen hat, danach ihre vertonten Gedichte. Ich bin beeindruckt. Leider sind wir schon in Kyzyl-Oi angekommen, aber die nette Poetin willigt ein uns morgen in der Früh nochmals zu treffen, weil wir sie zu gern nochmals treffen und sie beim Singen ihrer Lieder filmen würden. Sie freut sich darauf, küsst mich zum Abschied auf die Wangen und begrüßt ihre Enkelin, die ihr bereits entgegengelaufen kommt.
Am nächsten Morgen lädt sie erst zum Tee und erzählt aus ihrem Leben. Sie habe 10 Kinder, nach dem siebten habe sie ein Verdienstabzeichen für besondere Dienste am Fortbestand der sowjetischen Population erhalten. Stolz zeigt sie mir ein Foto, das sie mir später schenkt. Ihr ganzes Leben habe sie ihren Kindern gewidmet. Das erzählt sie nicht wehmütig oder mit dem Eindruck, sie hätte sich für die Kinder aufgeopfert, sie strahlt bei ihren Schilderungen und blickt glücklich auf die vergangene Etappe zurück. Erst mit 67 Jahren habe sie beschlossen das zu tun, wofür ihr Herz eigentlich schlägt: zu dichten, zu singen und auch Parodien zu machen. Sie parodiert gerne andere Menschen und imitiert gekonnt und mit vollem Körpereinsatz die jungen Rapper aus Bishkek. Stolz zeigt sie uns Urkunden und Fotos von ihrer Teilnahme an Gesangswettbewerben auf nationaler und internationaler Ebene. Dazwischen schenkt sie ihrem Enkel eine Tasse Schwarztee ein und süßt ihn mit drei gehäuften Teelöffeln Zucker. Sie ist ja auch gerne umsorgende Großmutter für ihre vielen EnkelInnen.
Kerimbekova Mirzagul mit sowjetischem Ehrenabzeichen in jüngeren Jahren
Nachdem wir unsere obligatorischen Tassen Schwarztee getrunken haben, machen wir uns auf dem Weg nach draußen, weil sie uns dort ein, zwei Lieder vortragen wird und wir sie dabei filmen dürfen. Was wir damit machen, will sie wissen. Wenn sie möchte, können wir es gerne veröffentlichen, antworten wir. Gerne, aber wir sollten ihr in jedem Fall den Link schicken. Sie gibt uns die Telefonnummer ihres Sohnes in Bishkek und beginnt wie eine geborene Diva zu singen. Ihre Stimme hallt über die karge Landschaft und quer durch das Dorf, sie stört sich nicht an vorbeireitenden Dorfbewohnern und meint nur, sie sollen die Aufnahmen nicht behindern, ein internationales Team sei hier, um sie zu filmen. Lacht lauthals und macht weiter. Die Lebensfreude und der Stolz dieser Frau beeindrucken mich. Sie verabschiedet sich von uns mit wohlwollenden Wünschen für ein langes Leben, Gesundheit und viel Glück, küsst und herzt uns und widmet sich wieder ihrem Zuhause und den Enkeln. Und wir fahren weiter ins nächste Abenteuer.